Quasimodogeniti

Erster Sonntag nach Ostern, 19. April 2020

Wochenspruch

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.

1. Petrus 1, 3

Liebe Gemeinde!

Als Kinder haben wir Teekesselchen gespielt. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob man das heute noch spielt… Es ging dabei um zwei Worte, die zwar gleich lauten, aber unterschiedliche Bedeutungen haben. Wenn also jemand sagte: „Mein Teekesselchen bewahrt Geld sicher auf“, und als zweiter Hinweis kam: „Auf meinem Teekesselchen kann man sitzen“, dann war die Antwort Bank, ebenso wie man mit dem einen Schloss sein Haus gut abschließen kann und im anderen Schloss kann man wohnen, wenn man viel Geld für eine exorbitant hohe Unterhaltsrechnung hat.

Ich erzähle Ihnen das heute, weil mir beim Lesen unseres Predigttextes für den heutigen Sonntag spontan ein Teekessel-Vorschlag in den Sinn kam: Weg und weg. Hören wir, was der Prophet Jesaja in Kapitel 40 in den Versen 26 bis 31 seinen Hörerinnen und Hörern ins Gedächtnis ruft:

26 Seht doch nur in die Höhe! Wer hat die Sterne da oben geschaffen? Er lässt sie alle aufmarschieren, das ganze unermessliche Heer. Jeden Stern ruft er einzeln mit Namen, und keiner bleibt fern, wenn er, der Mächtige und Gewaltige, ruft. 27 Ihr Leute von Israel, ihr Nachkommen Jakobs, warum klagt ihr: »Der Herr kümmert sich nicht um uns; unser Gott lässt es zu, dass uns Unrecht geschieht«? 28 Habt ihr denn nicht gehört? Habt ihr nicht begriffen? Der Herr ist Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, seine Macht reicht über die ganze Erde; er hat sie geschaffen! Er wird nicht müde, seine Kraft lässt nicht nach; seine Weisheit ist tief und unerschöpflich. 29 Er gibt den Müden Kraft und die Schwachen macht er stark. 30 Selbst junge Leute werden kraftlos, die Stärksten erlahmen. 31 Aber alle, die auf den Herrn vertrauen, bekommen immer wieder neue Kraft, es wachsen ihnen Flügel wie dem Adler. Sie gehen und werden nicht müde, sie laufen und brechen nicht zusammen.

Den letzten Vers, Vers 31, haben Sie sicher vom Abendmahl her im Ohr. Es ist ein Zuspruch: Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie junge Adler. Adler liegen auf den Luftströmen und lassen sich tragen. Sie flattern nicht mit den Flügeln. Sie kreisen, scheinbar völlig mühe- und schwerelos, in die Höhe. Wege am Himmel, die unsere Augen nicht sehen können.

Der Grund, warum Jesaja all das überhaupt seinem Volk ins Gedächtnis rufen muss, ist, dass es scheint: Gott ist weg. Man sieht ihn nicht, man hört ihn nicht. »Der Herr kümmert sich nicht um uns; unser Gott lässt es zu, dass uns Unrecht geschieht«, klagen die Menschen. Diese Anklage erinnert an die Geschichte von den Spuren im Sand von Margaret Fishback Powers: Immer, wenn es in meinem Leben schwerwurde, klagt da die Erzählerin Gott an, da sehe ich nur eine Spur! Wo warst du denn, als es mir schlechtging? Dieser Vorwurf wird auch von Israel erhoben: Der Weg wird schwierig, und Gott ist weg.

Es gibt auch eine andere Deutung, in der Geschichte von den Spuren im Sand sagt Gott: Da, wo nur eine Spur ist, habe ich dich getragen. Gott ist Weg. Er führt und trägt, gibt Halt und Kraft – aber scheinbar manchmal so, dass man es in diesem Moment vielleicht gar nicht bemerkt oder spürt.

Tatkräftig, leistungsfähig, jung und stark – diese Ideale wurden nicht erst in unserer Zeit zur Vorstellung eines rundum gelungenen Daseins. Jünglinge, vor Kraft strotzend, werden müde und straucheln – es ist, als hätten bereits im alten Israel Firmen wie asics – anima sana in corpore sano (gesunde Seele in gesundem Körper) Versprechen auf ewige Jugend gemacht. Halt dich fit, iss und trink das Richtige (hier das jeweilige Produkt ergänzen) und du hast alles im Griff. Red Bull verleiht Flügel! Iss dich glücklich! Trink dich schön!

Gott ist weg, wo der Mensch glaubt, alles beherrschen zu können, alles im Griff zu haben. Das Scheitern ist schmerzhaft. Schon vor der Corona-Pandemie, die die Wirtschaft zwang, Grenzen des Wachstums anzuerkennen, gab es spürbare Veränderungen des Klimas, die zeigen, dass menschliche Eingriffe in natürliche Zusammenhänge nicht folgenlos bleiben. Wochenlang ausbleibende Regenfälle bei Temperaturen zwischen 35 und 40 Grad auf der Alb in zwei Sommern in Folge weckten Sorge. Wo Menschen glauben, dass Gott weg ist, wird im Eigeninteresse gehandelt, oft zum Schaden für Mitmenschen und Umwelt.

Gott ist Weg, wo sich Menschen erinnern oder erinnern lassen: Die Erde gehört nicht uns. Sie kommt ohne Menschen aus, umgekehrt gilt das nicht. Die Bibel erzählt, dass Gott die Menschen zu Bewahrern und Hütern der Schöpfung machte. Das Ideal der Nachhaltigkeit, das heute so viel beschworen wird, ist hier schon angelegt. Generationen von Menschen sollen die Erde jeweils für die nächste Generation bewahren und sie lebenswert erhalten.

Gottes Gebote zeigen den Weg zu einem guten, friedlichen und fruchtbaren Miteinander. Gott selbst ist der Weg, er ist ihn uns vorangegangen in Christus: Den Weg dessen, der nicht alles im Griff haben will, der nicht der eigenen Stärke und Tüchtigkeit, der eigenen Leistungsfähigkeit vertraut, sondern der Liebe, und der sich ganz und gar Gott anvertraut.

Wie wenig wir unser eigenes Leben im Griff haben, noch weniger die ganze Welt, haben uns die vergangenen Wochen gezeigt. Das Virus ist dumm, sagte ein Virologe, mit Seife kann man es außer Gefecht setzen. Zunächst aber hat das Virus uns alle außer Gefecht gesetzt! Niemand ist vollkommen sicher davor, auch nicht die Jüngeren, schwer zu erkranken. Niemand kann vollkommen sicher sein, dass er, obwohl er sich nicht krank fühlt, nicht schon infiziert ist und andere anstecken kann. Etwas so Winziges, das man es mit bloßem Auge nicht sehen kann, hat so große Macht, und all unser Geld und unser Können sind im ersten Moment keine Hilfe.

Solidarität, ein lang nicht gehörtes Wort, Liebe, Nächstenliebe und Rücksicht: Sie stärken und helfen in dieser Situation. Menschen haben Ideen, wie sie einander Freude machen können: Mit Blumengrüßen, vor die Haustür gelegt, mit Gebäck, Anrufen, Karten, Nachrichten, mit Osterbotschaften, -briefen und Musik, wie wir es letzte Woche erlebt haben, mit abendlichem Musizieren und Singen, und dem gemeinsamen, nur räumlich getrennten Gebet. All das zeigt dem anderen: Ich denke liebevoll an dich. Ich suche und finde Wege, um es dir zu zeigen.

Wer Gott vertraut, bekommt neue Kraft, sagt Jesaja. Was stärkt uns in diesen Tagen? Bei mir ist es die Erinnerung an Ostern. Ich habe am Karsamstag eine Karte im Briefkasten mit einem Dank für die Predigt auf CD vorgefunden, und auf der Karte stand auch: Ich habe wohl den wertvollsten Konfirmationsspruch erhalten: Gott sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat, durch unseren Herrn Jesus Christus. Es ist der Abschluss dessen, was Paulus in 1 Kor 15 über die Auferstehung Jesu und seinen Sieg über den Tod schreibt.

Jesus hat uns den Weg direkt in Gottes neue Welt freigemacht. Er ist uns vorausgegangen. „So gehen unsre Wege gewiss zum Himmel ein“, dichtete Paul Gerhardt in seinem Lied „Befiehl du deine Wege“. Sicher erscheint es auch glaubenden Menschen manchmal, als wäre Gott weg, als wäre nur eine Spur im Sand zu sehen. Neue Kraft aus dem Glauben schöpfen wir, wenn andere uns zusagen und zusingen, uns daran erinnern, was unsere erschöpften und müden Seelen und Herzen gerade an Stärkung brauchen: Dass Gott uns zum Leben bestimmt hat und uns dorthin führen will.

„Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann“, ermutigt uns Paul Gerhardt. Jesajas Worte scheinen darin ihren Widerhall zu finden: Hebt eure Augen und seht! Wer hat die Sterne geschaffen und führt ihr Heer und kennt sie alle mit Namen?“

Gott ist der, der allem Lauf und Bahn gibt. In Strophe 8 und vor allem Strophe 9 geht Paul Gerhardt darauf ein, dass wir nicht immer erkennen können, wohin Gott uns führt. Aber er ist überzeugt: „Wird’s aber sich befinden, dass du ihm treu verbleibst, so wird er dich entbinden, da du’s am mindsten glaubst.“

Liebe Gemeinde, ich wünsche uns allen, dass wir genauso wie Paul Gerhardt in unserem Herzen und unserer Seele an der Überzeugung festhalten können: Gott ist Weg. Er geht an unserer Seite. Manchmal nehmen wir ihn nur nicht gleich wahr.

Amen