Heiligabend

Liebe Gemeinde,

Mein vorherrschendes Gefühl in diesem Jahr war: Ich bin gerade mit Plan A, Plan B und zur Sicherheit noch Plan C unterwegs, und Ihnen ging es sicher ähnlich: Man macht sich Gedanken, überlegt sich viel, hat Pläne geschmiedet und viel Zeit und Nerven eingesetzt, viele Menschen in Ämtern und Behörden und in der Gemeinde haben sich mit Leidenschaft und Engagement eingebracht wie jetzt für diesen Gottesdienst – aber oft kam in diesem Jahr von einer Sekunde auf die andere alles doch wieder ganz anders. Lockdown, Schulen und Geschäfte schließen von heute auf morgen, alle sollen zu Hause bleiben! So haben wir es im März erlebt. Es geht aber auch umgekehrt: Man will zu Hause bleiben und darf nicht. Statt von der Landesregierung kommt die Verordnung in diesem Fall vom römischen Kaiser.

Maria hat ihre Verwandte Elisabeth besucht und steht kurz vor der Geburt ihres eigenen Kindes, die natürlich in ihrem Zuhause in Nazareth stattfinden soll! Dann kommt der Erlass, dass sich alle auf den Weg in ihre Heimatstadt machen müssen, was in Josefs Fall Bethlehem und nicht Nazareth ist.

Und so kommt alles anders: Statt vertrauter Gesichter von Verwandten und Freundinnen, die bei der Geburt und in der ersten Zeit mit dem kleinen Kind beistehen, sieht Maria fremde Gesichter: Hirten kommen als erste Besucher, nachdem ihr Kind fern von zu Hause zur Welt gekommen ist, nach einer ebenfalls nicht eingeplanten mehrtägigen Reise.

Der Evangelist Lukas ist überzeugt, dass das alles von Gott genau so geplant und beabsichtigt war, denn Gott hat einen Plan für die ganze Welt. Seit alter Zeit haben ihn die Propheten angekündigt, den Erlöser und Heiland, und jetzt ist er in Bethlehem geboren, wie es vor Jahrhunderten vorhergesagt war. Un-erwartet, zumindest für Maria und Josef, sind die Umstände der Geburt, aber die Geburt des Erlösers selbst ist lang und sehnlichst erwartet worden.

Den Hirten kommen Engel zu Hilfe und machen sie darauf aufmerksam, dass etwas Weltveränderndes geschehen ist und sie erklären den Hirten auch, was da geschehen ist: Euch ist heute der Heiland geboren!

Gott kommt als kleines Kind in die Welt. Wie schutzlos und hilflos sich Gott damit macht, wie nahbar, erlebe ich gerade jetzt wieder: Vor wenigen Wochen kam meine kleine Nichte zur Welt. In diesem Jahr hat man noch mehr Angst um die Neugeborenen als ohnehin. Sie sind so verletzlich, so schutzlos. Ohne große Abwehrkräfte, weder körperliche noch seelische, und ganz angewiesen auf andere: Auf die Wärme und die Fürsorge der Eltern, auf gute Ideen und Einfälle, wie sie das Beste aus der Situation machen können, die nicht so ist, wie gedacht, aber nun nicht mehr zu ändern. Maria legt ihren Sohn in eine Futterkrippe. Das Kinderbettchen, das Josef bestimmt gezimmert hatte, stand ja in Nazareth.

Marias Handeln lenkt unseren Blick von dem, was fehlt, auf das, was da ist. Gott ist da, in Jesus. Der Erlöser ist da. Und es macht nichts, dass keine außer Krippe und Windeln keine Babyausstattung da ist. Das Wichtigste ist: Das Kind ist da. Der Heiland, das Licht der Welt. Man kann es sehen und anfassen. Auch in diesem Jahr ist das Licht von Bethlehem bei uns, hat trotz Corona den Weg zu uns gefunden, so wie Maria und Josef den Weg nach Bethlehem trotz aller Schwierigkeiten geschafft haben. Engagierte Menschen haben geholfen und das Licht zu uns gebracht, haben sich nicht aufhalten lassen vom weiten Weg.

Dieses Jahr war ich so oft dankbar. So oft half es mir dieses Jahr zu sehen, wer oder was da ist, wenn mir etwas oder jemand fehlte. Am Grab, in Einsamkeit, in Krankheit allein – vielen von uns hat dieses Jahr viel gefehlt. Tröstende Umarmungen, Nähe von Freunden, Zeit mit den Enkelkindern, und junge Menschen haben erzählt, dass die Schule fehle.

Viel war, ist da und bleibt da. Gott war und ist bei uns, ob wir gemeinsam in der Kirche beten oder allein, vor dem Fernseher, dem CD-Player oder dem Computer beten. Wenn man sich nicht treffen kann, kann man telefonieren oder Karten oder Pakete schicken. Ich glaube, ich habe noch nie vorher so viel Post und Päckchen bekommen und verschickt. Mein kleiner Patensohn war stolz darauf, dass ein Paket ihn höflich mit „Herr“ vor seinem Namen ansprach.

Eine große Freude an allem, was sein kann, ist da: Musik hat Trost und Halt geschenkt in einsamen Stunden. Freiräume sind da, die gefüllt werden können, und Menschen, die gute Ideen haben, sie zu füllen – unser Adventsbüchlein ist voll von schönen Einfällen, wie wir auch unter Coronabedingungen füreinander da sein können. Unsere Gemeinde, unsere Gemeinschaft ist noch da. Alle haben sich eingesetzt, und wir hatten immer große Unterstützung auch von der Kommune.

Vieles kam in diesem Jahr anders als geplant, aber Gottes Versprechen ist nach wie vor: Euch ist heute der Heiland geboren. Das Licht der Welt ist da. Vielleicht hat uns das vergangene Jahr geholfen, ein ganz neues Gespür, eine ganz neue Offenheit und Nachdenklichkeit zu entwickeln, geschärfte Sinne für das, was Weihnachten bedeutet. Empfindsamkeit für das, was fehlt, und das, was da ist. Das große Fest im Familienkreis, Berge von Geschenken, Weihnachtsmärkte und Betriebsamkeit fehlen dieses Jahr.

Geblieben ist Weihnachten. Die Musik, die uns bewegt und bestimmt noch zu Hause in uns nachklingt. Die Lichter, die uns Wärme spüren lassen. Geschenke und Gaben, vielleicht weniger als sonst, aber womöglich sorgfältiger ausgesucht und mit Bedacht verschenkt. Wenn Sie noch auf die Schnelle ein kleines Mitbringsel oder auch ein Geschenk für sich selbst brauchen können, schauen Sie doch auf unsere Homepage: Dort können Sie sich einen Bogen herunterladen mit kleinen Botschaften, die unter das Wachs eines Teelichts gelegt werden können. Nach etwa einer Stunde ist das Wachs flüssig und durchsichtig geworden, dann leuchtet eine Botschaft auf: Sie können zum Beispiel das Licht direkt aus der Krippe scheinen sehen, oder die Botschaft der Engel lesen, so wie auf dem Liedblatt.

Das Licht ist in die Welt gekommen und die Finsternis ist besiegt. Die längste Nacht liegt hinter uns. Ab jetzt werden die Tage immer heller. Und das gilt auch für unsere Zukunft. Ob wir lernen, mit dem Coronavirus zu leben, ob die Medizin eine Möglichkeit findet, die Verbreitung des Virus zu stoppen: So oder so, wir sind und bleiben füreinander da, und Gott ist und bleibt für uns da. Uns ist der Heiland geboren. Für uns ist Gott in die Welt gekommen, uns will er nahe sein. Gott schenkt uns seine ganze Liebe und Nähe.

Amen