3. Advent

Predigt zu Lukas 1, 67-79 (Dritter Advent, 13.12.2020)

Liebe Gemeinde,

Neun Monate sind eine lange Zeit: Neun Monate lang, seit März, sind die Corona-Einschränkungen überall in unserem Alltag spürbar. Am 15. März feierten wir den letzten Gottesdienst vor dem Lockdown, als keine Zusammenkünfte mehr möglich waren. Viele Veränderungen gab es in diesen neun Monaten… Manches wurde schwerer, mühsamer, anderes rückte plötzlich in den Hintergrund – es war gar nicht so wichtig wie vorher gedacht.

Neun Monate – so lange dauert eine Schwangerschaft. Neun Monate zur Vorbereitung auf die Geburt des Kindes, neun Monate für Vorfreude und Erwartung. Neun Monate zur Besinnung, zum Überlegen. Zacharias, der Vater von Johannes dem Täufer, verstummt für neun Monate. Er ist Priester, aber dass er Mühe hat zu glauben, zeigt sich, als ein Engel ihn besucht und ihm die Geburt eines ganz besonderen Kindes verkündigt. Zacharias erwartet nichts mehr von Gott und reagiert skeptisch: Woran erkenne ich, dass das stimmt? fragt er den Engel. Gabriel antwortet ihm: Du wirst stumm sein bis zu dem Tag, an dem das eintrifft.

Neun Monate, um sich zu besinnen. Neun Monate, in denen der Glaube und das Vertrauen auf Gottes Versprechen wachsen, wie auch Elisabeths Bauch wächst. Neun Monate, in denen Zacharias jeden Tag Veränderungen an seiner Frau und sehr wahrscheinlich auch an sich selbst feststellt. Gottesfürchtig hatten er und Elisabeth gelebt, erzählt Lukas, so, wie es Gott gefällt, und doch bleibt ihnen der wichtigste Wunsch versagt. Sie konnten keine Kinder bekommen. „Seid fruchtbar und mehret euch“ ist Gottes Gebot, wer die Menschheit nicht vermehrt, versäumt die Erfüllung eines Gebotes. Unfruchtbarkeit ist ein Grund, den Ehepartner aus der Ehe zu entlassen. Und wer alt geworden ist ohne dass die Hoffnung auf Nachkommenschaft sich erfüllt hat, reagiert wie Zacharias, wie Sara: Mit Skepsis. Es hat ja schon nicht funktioniert, als beide noch im fruchtbaren Lebensalter waren – wie soll jetzt, wenn Mann und Frau alt geworden sind, noch ein Kind zur Welt kommen?

Glaube braucht Zeit, um zu wachsen. Erwartung, die enttäuscht wurde, braucht Zeit, um sich wieder zu öffnen, bereit zu sein für das Un-erwartete. Zeit zum Nachdenken hat Zacharias, Zeit vielleicht auch für stumme Zwiesprache mit Gott, Zeit, um sich zu erinnern an Gottes Treue über die Jahrhunderte hinweg. Neun Monate lang kann Zacharias schweigend und stumm beobachten, wie die Erfüllung des Versprechens, das ihm Gott gegeben hat, immer näher kommt.

Johannes war nicht selbst der Messias, aber dessen Wegbereiter. Ohne Furcht, gerecht und auf dem Weg des Friedens werden die leben, die zu Jesus gehören. So verkündet es Zacharias in seinem Lobpreis. Aber auch du, Kind, wirst ein Prophet des Höchsten genannt werden – was für eine große Verantwortung für den kleinen, gerade erst zur Welt gekommen Johannes. Was für eine große Verantwortung auch für uns alle, jede und jeden von uns, denn auch wir sind Kinder Gottes durch unsere Taufe. Wir haben selbst Gottes Barmherzigkeit erlebt, die Zacharias lobt. Gottes Barmherzigkeit soll auch durch uns sichtbar werden in der Welt. Das ist die Verantwortung, die Aufgabe derer, die selbst Gottes Güte und Barmherzigkeit erlebt haben und von ihr leben.

Auch wir sollen den Weg bereiten, auch durch uns und unser Tun soll das Licht Gottes sichtbar werden. Gott kommt in die Welt, deshalb sind wir aufgerufen, uns dieser Welt zuzuwenden und sie zu verwandeln: Indem wir Ausgleich und Frieden suchen und Gerechtigkeit und Güte unser Handeln bestimmen lassen.

Zacharias erinnert sich in seinem Loblied an die ganze Geschichte Gottes mit seinem Volk, von Abraham an. Neun Monate hat Zacharias nachgedacht, ehe er begreifen konnte, dass die Verheißungen Gottes für Israel, Rettung, Erlösung, Heil, die Zusagen, die seit Generationen überliefert werden und wurden, dass diese Zusagen auch für ihn, Zacharias, ganz persönlich gelten. Immer wieder war Gott für sein Volk da, hat Zacharias erkannt.

In der katholischen Kirche werden die Worte des Zacharias morgens gebetet, im Benedictus-Gebet bei Sonnenaufgang. So, wie die Sonne alles Dunkel vertreibt, kommt Jesus uns entgegen. Jeden Morgen erinnern die Glaubenden sich an den Aufruf des Textes: Auch du wirst heute von Gott gebraucht! Auch du kannst den Weg bereiten, anderen vergeben und Heil schenken.

Gelobt sei Gott! Die ersten Worte, die Zacharias nach neun Monaten spricht, sind ein Lobpreis auf Gott: Denn er hat sein Volk besucht und es erlöst, übersetzt Luther. Denn er ist seinem Volk zu Hilfe gekommen und hat es befreit, die BasisBibel. Gott befreit – das ist seit der Arche Noah, seit dem Auszug aus Ägypten die Grunderfahrung der Israeliten. Gott befreit aus der Gewalt der Feinde: Auch das hat Israel immer wieder erlebt. Babylonier, Griechen, jetzt die Römer – immer wieder herrschten andere Völker über Israel und Judäa, und doch bewahrten die Juden ihren Glauben, ihre Bräuche, gingen nicht in anderen Kulturen auf. Trotzdem bleibt die tiefe Sehnsucht danach, frei und ohne Angst vor Unterdrückung den eigenen Glauben leben zu können. Ohne Angst können wir Gottesdienste feiern, jubelt Zacharias. Dann, wenn der Erlöser gekommen ist.

Wir können diese Sehnsucht nachfühlen, glaube ich. Ohne Angst und frei von aller Sorge Gott loben und ihm danken zu können wünschen wir uns auch. Befreit zu sein von der vagen Sorge: Das Kratzen im Hals, ist das noch eine normale Erkältung? Ohne die Sorge im Hinterkopf: Fühle ich mich wirklich hundertprozentig wohl und gesund?

Johannes wird von seinem Vater als Aufgabe gesetzt: Du schenkst seinem Volk die Erkenntnis, dass der Herr es retten will. Gerade Zacharias, der Priester, der zuerst nicht glauben kann, zeigt, dass es nicht selbstverständlich ist, glauben zu können, dass Gott retten will. Dass es Menschen wie Johannes braucht, Menschen wie uns, die immer wieder daran erinnern, die zur Besinnung einladen, die helfen, die Gründe zu erkennen, die es gibt, Gott zu loben. Die Mut machen, auf Gottes Versprechen zu vertrauen. Die Mut machen, Erwartungen an Gott zu haben und nicht zu resignieren.

Zacharias bekommt neun Monate, um nachdenken, sich besinnen zu können. Eine ruhigere, andere Adventszeit wie jetzt lässt mehr Raum für Besinnlichkeit und Besinnung. Darauf, dass Gott versprochen hat, zu erlösen und zu retten. Dass wir es erwarten sollen, wie wir die Geburt eines Kindes erwarten. Und wir bereiten den Weg: Unser Vertrauen, unsere freudige Erwartung, unsere ermutigenden Worte, unser mitfühlendes Schweigen, unsere Güte in Wort und Tat, unser Streben nach Gerechtigkeit – sie sind Lichter in dieser Welt, die an vielen Stellen dunkel und kalt ist, Lichter, die dem Licht aus der Höhe den Weg bereiten.

Auch du, Kind wirst ein Prophet des Höchsten genannt werden, wirst dem Herrn vorangehen und die Wege für ihn bereit machen.

Amen