Verabschiedung Pfarrerin Pfitzer

Andacht zur Verabschiedung von Pfarrerin Pfitzer am 25. April 2021

Liebe Gemeinde, liebe Mitfeiernde,

Wir waren in den letzten Wochen mit Maßnehmen beschäftigt: Ein maßstabsgetreuer Wohnungsplan des Pfarrhauses in Seeburg wurde von meinem Mann in liebevoller Tüftelei mit unseren Möbeln befüllt, ich habe die Fenster ausgemessen, um festzustellen, welche Vorhänge wo hineinpassen oder eher nicht. Wir mussten auch in Kirche und Gemeindehaus bei verschiedenen Gelegenheiten ausmessen, welche Möglichkeiten es für MusikerInnen gibt, und heute, bei einer Verabschiedung, geht es ja ein bisschen auch ums Maßnehmen und die Maßstäbe, die man anlegt, wenn man so zurückblickt auf die vergangenen Jahre.

Wir haben viele Gottesdienste gefeiert, Konfirmationen, Gemeindefeste, Trauungen, Beerdigungen, ich blicke zurück auf viel Zusammenarbeit, viel Herzblut, Einsatz und Engagement, zum Beispiel bei den beiden größeren Bauprojekten, dem Anbau ans Sirchinger Gemeindehaus und dem Umbau des Gemeindesaals, und viel Engagement und Zusammenhalt auch mit unseren Nachbargemeinden bei Kinderbibelwochen, Konfirmandenfreizeiten, dem Reformationsjubiläum und der Zeltkirche.

Menschen legen unterschiedliche Maßstäbe an, an ihre Verantwortlichen und an ihre Mitmenschen. Was für den einen ganz schlimm ist, fällt jemand anderem gar nicht richtig auf. Mir ist immer wieder bewusst geworden, was wir Menschen so alles beobachten und mehr oder weniger instinktiv auch beurteilen, einordnen, bewerten. Die Rückmeldungen sind dann manchmal sehr direkt, manchmal aber auch ganz zartfühlend, so wie bei einem der Pfarrkonvente, als eine Kollegin und ich mit Sorge beobachteten, dass ein – in unseren Augen für so viele PfarrerInnen nicht in ausreichender Menge mit Puddinggläsern bestücktes – Tablett aus der Küche getragen wurde.

Nach kurzem Zögern gaben wir unsere Plätze in der Warteschlange für den Hauptgang auf und stürmten zum Nachtischbüffet, um unsere Schäfchen ins Trockene zu bringen. Als wir uns dann – jeweils mit einem Puddingglas auf dem Tablett – wieder am Ende der Schlange einreihten, drehte sich die Kollegin vor uns um, ließ ihren Blick auf den Gläschen ruhen und fragte ganz sacht: „Ihr seid beide keine Einzelkinder, stimmt’s?“ Das fand ich eine sehr freundliche und geschwisterliche Rückmeldung, zumal sie uns zu bedenken gab, dass es sicher nur selten zu einer Situation komme, in der viel zu viel Pudding zur Verfügung stehe.

Das ist eine der Wahrheiten, an die ich glaube: Es gibt selten zu viel Schokoladenpudding. Und die zweite: Es gibt auch selten zu viel Liebe, Rücksicht, Einfühlungsvermögen – mit einem Wort: Barmherzigkeit. Die Barmherzigkeit steht durch unsere Jahreslosung aus Lukas 6,36 Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist über diesem Jahr 2021, in dem Einfühlungsvermögen, Zusammenhalt, Rücksichtnahme und Liebe unverzichtbar sind, nachdem uns die Corona-Pandemie mit allen Einschränkungen so viel abverlangt und auferlegt.

Vieles bleibt unvollendet, oder kann nur in geringerem Maße gelebt werden, auch die Verabschiedung heute oder die Konfirmation heute morgen hätten wir ohne die Pandemie sicher ganz anders gefeiert. Umso mehr freue ich mich, dass so viel möglich ist: An Musik, Beiträgen und an Gästen, die wir trotz der Abstände in die Kirche einladen konnten.

Ich bin dankbar, dass ich mich hier immer angenommen und geliebt fühlen durfte, obwohl mir klar ist: Bei all meinem Bemühen, aller Liebe und aller Rücksicht gab und gibt es Menschen, denen ich es an Liebe habe fehlen lassen, die auf etwas verzichten mussten und in irgendeiner Form nicht zu ihrem Recht kamen. Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist, fordert Jesus in unserer Jahreslosung aus Lukas 6,36 auf. Ein hoher Anspruch, und einer, den ein Mensch nicht erfüllen kann?

Für alles, was uns gelingt und was wir vollbringen, gibt es etwas, das wir versäumen und verpassen, manchmal ganz ohne Absicht, sondern allein schon aus dem Grund, dass wir die Gedanken unserer Mitmenschen nicht lesen können und nicht ahnen, was sich jemand von uns wünscht oder was er bräuchte.

Zum Glück wird von Gott ein anderer Maßstab an uns angelegt: Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist. Wie ist Gott barmherzig? Welchen Maßstab sollen und dürfen wir an uns selbst und unsere Mitmenschen anlegen?

Gott zeigt seine Barmherzigkeit am Kreuz: Dort nimmt er uns alle Versäumnisse, Fehler und Schuld ab und befreit uns davon, aufrechnen zu müssen. Wir können voller Vertrauen und Liebe miteinander nach dem besten Weg suchen.

Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist: Sowohl in den beiden Kirchengemeinden, den Gremien, bei Besuchen, Gottesdiensten und Begegnungen aller Art wie auch im Kollegenkreis und in den Nachbargemeinden habe ich viel Herzlichkeit und Barmherzigkeit wahrgenommen.

Ich freue mich, dass ich hier so viele Jahre leben und tätig sein durfte. Ich bin dankbar für das herzliche und liebevoller Miteinander, für allen Einsatz und alles Engagement in Haupt- und Ehrenamt und für die Kreativität, Flexibilität und für die stete Bereitschaft, auch alles mitzutragen, was ich versäumt oder vergessen habe. Die Menschen hier haben einen Maßstab gesetzt und die Messlatte für die nächsten Gemeinden ordentlich hoch gelegt 🙂

Der Maßstab, der immer gültig bleibt, ist die Barmherzigkeit und die Frage: Wie möchte Gott, dass wir einander begegnen? Mit Freundlichkeit, Humor, Liebe, Langmut, Einfühlungsvermögen und dem Wissen: Niemand ist perfekt, und niemand muss es sein.

Wir sind’s noch nicht, wir werden’s aber: Wir sind lebenslang unterwegs, lernend, Erfahrungen sammeln, immer unvollendet, aber wir kennen das Ziel unseres Lebens, was auch ein Maßstab fürs Leben ist. Unser Ziel ist bei Gott, der unser Leben einmal vollendet und uns mit dem Maßstab der Liebe und Gnade misst.

Amen