Okuli

Predigt zu Eph 5, 1.2 und 8.9 am Sonntag Okuli, 7. März 2021

Liebe Gemeinde,

Vor Jahren waren wir in den Sommerferien in Wien, bei schönstem Sonnenschein. Es war 38 Grad heiß, und die vielen weißen Gebäude gleißten nur so im Sonnenlicht. Wohltuend war der Aufenthalt im Schatten. Dort war es kühler und dunkler als im Sonnenlicht, so dass sich die Augen erholen konnten, aber es war nicht ganz finster. Schatten, also der Bereich, der nicht direkt von einer Lichtquelle beleuchtet wird, wird vom Licht beleuchtet, das von anderen Körpern gestreut wird.

Das fiel mir beim Lesen unseres Predigttextes wieder ein: Körper, Menschen oder Gebäude, strahlen Licht ab, wenn sie beleuchtet werden, und sorgen dafür, dass man auch im Schatten etwas sehen kann und seinen Weg findet.

Menschen können Lichtgestalten sein, haben aber auch Schattenseiten. Seiten, die man nicht an sich mag: Egal, ob Äußerlichkeiten, ob man sich zu klein, zu groß, zu rundlich oder zu faltig findet, oder ob es Charaktereigenschaften sind, dass man sich zu scharfzüngig findet oder zu wenig mutig.

Trotzdem können wir Licht streuen, das Licht, das von Ostern und von Jesus her auf uns strahlt, streuen und so dazu beitragen, dass man seinen Weg finden und sicheren Fußes gehen kann, ohne Angst haben zu müssen, dass man gegen etwas stößt oder über etwas stolpert.

Denn wir Menschen brauchen Licht, um uns orientieren zu können. Ganz ohne Licht kann man sich nicht einmal in einem gut bekannten Raum wie dem eigenen Wohnzimmer problemlos zurechtfinden, sondern muss sich vorsichtig den Weg ertasten. Umgekehrt können wir auch bei zu viel Licht nichts mehr sehen: Wenn wir direkt ins Licht schauen, blendet es uns. Zu viel Sonnenlicht kann die Augen schädigen. Hans Kammerlander, der bekannte Bergsteiger, berichtete einmal, wie er sich an der Hornhaut seiner Augen durch zu viel Höhensonne einen Sonnenbrand zugezogen hatte. Er konnte die Augen nicht mehr öffnen, erzählte er, es fühlte sich an, als habe er tausend winzige Sandkörner im Auge und er musste sich vom Schlafsack zum Zelteingang und zurück mühsam seinen Weg ertasten.

Zu viel und zu helles, direktes Licht können wir nicht ertragen: Vielleicht erblindet Paulus vor Damaskus deshalb zeitweilig, als er dem auferstandenen Jesus begegnet. Es muss für ihn gewesen sein, als schaute er direkt in die Sonne. In der Apostelgeschichte überliefert Lukas eine Rede des Paulus in Kapitel 22, in der dieser betont, dass sich die Begebenheit in der Mittagszeit zugetragen habe. Das Licht muss wahrhaftig äußerst hell gewesen sein, um im ohnehin hellen Mittagslicht wahrgenommen werden zu können.

Paulus wird von der Gemeinde in Damaskus aufgenommen, trotz der Bedenken um die eigene Sicherheit, schließlich ist Paulus einer der eifrigsten Verfolger der jungen christlichen Gemeinde. Gott beauftragt einen der Christen, Paulus zu heilen. Für mich ist es wieder das abstrahlende Licht, das heilsam wirkt. Das Leben unter den Menschen, die er zuvor verfolgt hat, verhilft dem geblendeten Paulus zu mehr Einsicht.

Für den Verfasser des Epheserbriefs ist es das, was uns ausmacht: Wir sind Kinder des Lichts. Gottes Licht, Gottes Liebe, scheint auf uns. Wir sollen s o leben, so denken und handeln, dass Gottes Licht und seine Liebe von uns abstrahlen und das Dunkel so erhellen, dass andere sich daran orientieren können, dass sie ihren Weg finden und gehen können, wie es im Schatten möglich ist: Hell genug, um sehen zu können.

Ihr seid Kinder des Lichts: Lebt auch so! hören wir am Sonntag Okuli unseren Predigttext. Der Name Okuli, Augen, erinnert uns daran, dass wir dorthin gehen, wohin wir sehen. Es macht das Rückwärtslaufen so schwierig, dass wir nicht sehen können, wohin wir gehen, und das Beispiel, das Jesus gebraucht, als er sagt, dass niemand, der die Hand an den Pflug legt und zurückblickt, für das Reich Gottes geeignet sei, leuchtet jedem und jeder Fahrrad- oder Autofahrerin unmittelbar ein: Wer in eine andere Richtung schaut als die, in die man fahren möchte, kommt früher oder später vom Weg ab, fährt Schlangenlinien oder landet im Graben. Und wer eine gerade Furche ziehen will, muss nach vorne schauen, in Richtung des Ziels, an dem die Furche enden soll, sonst wird sie schief.

Wir blicken voraus auf Gottes Reich, und von dort strahlt uns Licht entgegen, warm und tröstlich. Aus der Bibel wissen wir, was uns in Gottes Reich erwartet: Es wird keine Not, keinen Hunger und keinen Durst mehr geben, keine Traurigkeit und keinen Tod. Wir werden reichlich, ja in Überfülle mit Leben und Gemeinschaft beschenkt, macht Jesus mit vielen Gleichnissen von Festmählern und Gastmählern deutlich.

Licht von Gottes Reich strahlt von uns ab ins Dunkel der Welt. Aus Finsternis wird Schatten, noch nicht das gleißende Licht des vollen Sonnenscheins, aber das abstrahlende Licht ermöglicht, im Schatten sehen und sicher gehen zu können. Wir sind Kinder des Lichts und strahlen das Licht ab, das von Gott her auf uns fällt. Menschen, die sich an Jesus orientieren, auf ihn sehen und seinen Spuren folgen, helfen anderen, die sich an ihnen orientieren und dem Licht und der Wärme folgen, die von diesen Menschen ausgehen. Es können Eltern, Großeltern, Lehrerinnen oder Lehrer sein, Kinderkirchmitarbeitende, Jungschar- oder Jugendkreismitarbeitende: Es sind Menschen, von denen Freundlichkeit, Wärme und Liebe ausgehen, die andere anziehen und ihnen schenken, was sie brauchen.

Kinder des Lichts wissen, dass sie noch auf dem Weg sind, dass sie noch nicht voll-endet, vollkommen sind, sie kennen ihre Schattenseiten und könne deshalb geduldig mit den Schattenseiten ihrer Mitmenschen umgehen. Kinder des Lichts wissen, dass Gott uns zu Kindern des Lichts gemacht hat und nicht unser eigener Einsatz. Es ist Geschenk und Gabe, die uns erleuchtet und erwärmt wie die Sonne an einem schönen Tag. Auch den Sonnenschein stellen wir nicht selbst her. Wir entscheiden uns aber dafür, uns der Sonne zuzuwenden, um uns von ihr wärmen und beleben zu lassen oder dafür, uns vor ihr zu verstecken und vor ihr zu fliehen.

Das christliche Leben ist eine stete Übung in Unterscheidung. Bewege ich mich in Richtung des Lichts oder gehe ich gerade in die andere Richtung? Wohin schaue ich gerade, was habe ich gerade im Blick? Worauf ich schaue, darauf bewege ich mich zu. Ich glaube, es war nie einfach, für niemanden, die Frage eindeutig zu beantworten. Jeder und jede musste zu jederzeit abwägen, manchmal auch Kompromisse eingehen, immer laufen wir Gefahr, schuldig zu werden. Nicht nur in Coronazeiten können wir manchmal nicht eindeutig entscheiden, sondern müssen abwägen, nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden, wissend, dass im Licht späterer Erkenntnis manche Entscheidung vielleicht anders ausfallen könnte.

Ich glaube, das gehört nicht nur zum Menschsein, sondern macht uns auch wahrhaftig und aufrichtig im Leben als Kinder des Lichts. Denn es zeigt allen anderen: Wir sind selbst nicht vollkommen, aber wir halten uns fest an Jesus, der von Schuld befreit. Er macht uns frei, nicht zu resignieren und das Bemühen aufzugeben, Gottes Reich schon in dieser Welt zu verwirklichen, um das Senfkorn, das unter uns ist, immer größer werden zu lassen, sondern uns immer wieder unverzagt dafür einzusetzen, nach bestem Wissen und Gewissen. Wir dürfen uns bescheinen lassen von Gottes Reich, seinem Licht, seiner Liebe – und dann geben wir weiter, strahlen ab in die Welt, was wir empfangen haben: Ohne uns Kinder des Lichtes wäre es dunkler in der Welt.

Amen