Misericordias Domini

Predigt zu Psalm 23

Liebe Gemeinde, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,

Psalm 23 berührt und spricht uns besonders an mit dem Bild des Hirten, der sich fürsorglich um seine Schafe kümmert. Ein Schäfer sagte einmal in einem Interview: Es wirkt so idyllisch, wenn die Bibel von Hirten erzählt. Aber wie ist es nachts um drei Uhr im Winter, wenn die Lämmer kommen, die Schafe krank sind oder Wölfe die Herde bedrohen?

So idyllisch finde ich meistens gar nicht, was die Bibel von Hirten erzählt. Abel war ein Hirte und wurde von seinem Bruder Kain erschlagen. Forscher glauben, dass ein Konflikt zwischen sesshaften Ackerbauern und den mit ihren Herden umherziehenden Viehhirten überliefert wird. Es gab Streit, wenn Herden sich auf die Äcker verirrten oder das knappe Wasser gerecht zwischen Tieren und Bewässerung der Felder aufgeteilt werden musste.

Auch Abraham, sein Neffe Lot, sein Sohn Isaak und sein Enkel Jakob waren Viehbesitzer, und hier ging es oft fast wie im Wilden Westen zu: Abrahams und Lots Hirten geraten in eine handfeste Auseinandersetzung über Futter und Wasser, sodass sich beide schließlich trennen müssen, um weiteren Streit zu verhindern.

Jakob hütet die Herde seines Onkels und vermehrt zu dessen Missfallen durch geschicktes Züchten seinen eigenen Viehbestand. Mose flieht aus Ägypten und hütet die Herden seines Schwiegervaters Jithro, und bestimmt der bekannteste Hirte, ist David, von dem auch Psalm 23 stammt. Der Hirtenjunge siegt mit der Steinschleuder über den gefürchteten Goliath und wird schließlich König. Aber als König missbraucht er seine Macht und verstößt gegen Gottes Willen, sich wie ein guter Hirte um die ihm anvertrauten Menschen zu kümmern.

Die Hirten, die in der Nacht auf Bethlehems Feldern wachen, erfahren als erste von der Geburt des Messias. Idyllisch war ihr Leben als unterbezahlte Arbeitskräfte ohne eigenen Viehbestand und am Rand der Gesellschaft sicher nicht. Aber Gott wendet sich ihnen zu und sie erfahren vor Kaiser Augustus, der sich selbst als Hirte aller Völker des römischen Reiches verstand, von Jesu Geburt. Jesus selbst bezeichnet sich später als der Gute Hirte und erzählt von Fürsorge und Liebe.

Am bekanntesten ist sicher Psalm 23. Generationen von Menschen schöpfen bis heute Trost und Kraft aus diesen einfachen, aber eindrücklichen Worten, mit denen versichert wird, dass Gott für uns sorgt. Ein Mensch spricht das persönliche Bekenntnis: Der Herr ist mein Hirte. Ein glaubender Mensch gehört normalerweise auch zur Gemeinschaft aller, die an Gott glauben. Glaube ist aber auch eine persönliche Angelegenheit. Im ersten Teil des Psalms geht es um die Beziehung zwischen Gott und Mensch.

Schon der erste Vers versichert uns: Mir wird nichts mangeln. Wir kennen Situationen, in denen es uns an etwas mangelt: In Krankheit, Arbeitslosigkeit oder in Notzeiten, nach dem Tod eines geliebten Menschen, in Einsamkeit. Auch ihr Jugendlichen habt vieles vermissen müssen durch Corona, was für die meisten anderen Jahrgänge bisher selbstverständlich gewesen ist. Dass man im Gemeindehaus zusammenkommen kann, sich treffen und miteinander beten, singen, gestalten und lernen. Sich austauschen kann ohne eine Videokonferenz, die durch die Technik immer mal wieder einzelnen den Zugang verwehrt und andere plötzlich aus dem Treffen herauswirft. Dass klar ist, dass die Konfirmation ein großes Fest wird mit vielen Gästen.

Psalm 23 erinnert uns daran, dass Gott nicht alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumt. So wie ein Hirte nicht einfach aus der Welt schaffen kann, was seine Tiere bedroht: Kälte,

Krankheiten, Wasser- oder Futtermangel, Raubtiere oder Viehdiebe. Aber er bleibt Tag und Nacht bei seiner Herde, wacht und ist bei seinen Tieren. Gott begleitet uns auch auf Durststrecken.

Gott will uns zeigen, was unserer Seele guttut und uns Kraft schenken kann: Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Ob es ein Hobby ist, das erfüllt und neue Energie schenkt, der Gottesdienst, die Musik oder ein Spaziergang, die Freude an der Natur, ein Haustier, die Gemeinschaft im Freundeskreis oder der Familie – jeder und jede hat eine persönliche grüne Aue. Manches von dem, was euch wichtig ist und Körper und Seele stärkt, kann man auf eurem Konfi-Kreuz sehen.

Dann sagt der Psalmbeter: Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Was ist mein Ziel? Wo will ich hin? Was wird aus meinem Leben werden? Was ist der Sinn meines Daseins? Auf wen kann mich bedingungslos verlassen? Der Psalmbeter lädt zum Vertrauen auf Gott ein, der uns wie ein guter Hirte den Weg zeigt. Er kennt uns am besten und weiß, was gut für uns ist. Und wenn wir manchmal dunkle, schwierige Zeiten erleben, dürfen wir die Worte aus Psalm 23 sprechen: Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.

Aus dem Bekenntnis zu Gott als Hirten wird ein kraftvolles und inniges Gebet. Der Beter spricht Gott vertrauensvoll mit „Du“ an. Und das mit Blick auf die Gefahren des Lebens, die mit dem Bild vom finstern Tal (wörtlich „Tal der Todesschatten“) gemeint sind. Der gute Hirte hat einen Knüppel, um wilde Tiere und Räuber zu vertreiben. Allein seine Anwesenheit kann unsere Angst verringern. Im Dunkeln, im Gewitter, vor einer wichtigen Operation, in Krankheit, Trauer oder Todesangst gilt: Gott ist stärker als alles, was uns Angst macht.

Gott ist auch stärker als die Corona-Pandemie, die uns beunruhigt. Wie sich die derzeitige Situation auch weiter entwickeln mag, Gott bleibt unser guter Hirte. Jeder und jede von uns darf darauf vertrauen: Gott ist der gute Hirte, der uns beruhigt und tröstet und mit dessen Hilfe wir mutig und zuversichtlich weitergehen können. Wir sind gehalten und getragen und niemals allein.

Der Psalmist sagt vertrauensvoll zu Gott: Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Diese Worte zeigen Gott als freundlichen und fürsorglichen Gastgeber, der uns an seinen Tisch einlädt, sogar im Angesicht unserer Feinde. Im Angesicht von Leid und Not sagt Gott zu uns: „Nehmt Platz, esst und trinkt, ruht aus und ich bediene euch.“ Er zeigt uns dadurch seine Liebe. Weil Gott liebevoll für uns sorgt, sollten wir als Menschen, die von Gottes Liebe berührt sind, in dieser schwierigen Situation füreinander da sein und füreinander einstehen: Sei es mit freundlicher Zuwendung, mit Hilfen im Alltag, mit guten Gedanken und aufmunternden Worten und besonders auch im Gebet.

Gott und wir Menschen gehören für immer zusammen, so wie eure Schäfchen an unserem Ast von Jesus als dem guten Hirten begleitet werden. In Jesus haben sich die Worte aus Psalm 23 in besonderer Weise erfüllt. Jesus hat sich ganz für uns eingesetzt. Sein Haus ist unser Zuhause. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar. Gottes Güte und seine Zuwendung werden uns unser ganzes Leben begleiten. Das Leben bietet uns immer wieder Gelegenheit, um dieses Vertrauen einzuüben.

Amen