Pfingstsonntag

Liebe Gemeinde!

Was ist für Sie eine fremde Sprache? Mario Barth machte vor Jahren Furore mit einem Wörterbuch: Frau – deutsch, deutsch – Frau. Meine Muttersprache ist deutsch, aber von frühester Kindheit an habe ich sehr viel Schweizerdeutsch gehört. Meine Großeltern waren immer im selben Haus in Meiringen. Die Vermieterin haben wir Jahrzehnte später noch besucht. Für uns Kinder war sie fast wie eine Grossi, eine Oma. Englisch ist so vertraut, dass ich manchmal auf Englisch träume. Mit Hebräisch und Griechisch ist mir das noch nie passiert, dafür sind mir der Beginn der hebräischen Bibel: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde – be-reschit bara elohim et ha-schamajim we-et ha-arez… und andere Passagen beinah in Fleisch und Blut übergegangen.

Kann eine fremde Sprache vielleicht auch sein, was jemand in meiner Muttersprache zu mir sagt, ich aber nicht verstehen kann? Wenn ein Vertreter der Wirtschaft beispielsweise vorrechnet, wie viele Corona-Infektionen in Kauf genommen werden müssen, damit die Wirtschaft nicht leidet, während ich an die Last für die Hinterbliebenen denke, die allenfalls durch eine Scheibe einen letzten Blick auf ihre Lieben werfen können. Seine Beweggründe kann ich rational nachvollziehen, aber in meinem Herzen hat der Schutz des Lebens höheres Gewicht als wirtschaftliche Interessen: Nicht die Sprache, aber die Denkweise ist mir fremd. Die Sprache entlarvt oft, wie wir denken: Das Wort „Humankapital“ beispielsweise spricht uns Menschen die Würde ab. Andere spotten über in ihren Augen übergroße Vorsicht: „Es ist nur eine Grippe!“

An Fragen wie dieser scheiden sich die Geister. Was mich bei aller Unsicherheit und allen berechtigten Schwierigkeiten in den vergangenen Wochen aber begeistert hat, war dies: Die Mehrheit der Deutschen lehnt es ab, die Personen mit dem höchsten Risiko für einen schweren Verlauf um deren eigener Sicherheit willen zu isolieren, um selbst weitgehend uneingeschränkt leben zu können. Solidarität mit Menschen, die ich nicht persönlich kenne und möglichweise nie zu Gesicht bekommen werde – was 2015 für manche ein absolutes Fremdwort war, wurde fünf Jahre später unter Inkaufnahme großer Belastungen gelebt.

Wer 2015 Solidarität einforderte und Rücksichtnahme auf Schwächere, lernte das furchtbare Wort „Gutmensch“ kennen. Dieses Wort erscheint mir vollkommen unverständlich. Wie kann ich für ein auch vom Gegenüber, wenn auch nur im Spott, als moralisch „gut“ bewertetes Verhalten kritisiert werden? Zum anderen frage ich mich doch, ob dann nicht jeder, der Solidarität mit Schwächeren ablehnt, folgerichtig als „Schlechtmensch“ bezeichnet werden müsste?

Die Bezeichnung Gutmensch offenbarte die unüberwindbare Fremdheit im Denken: Die einen sagen, wir fühlen uns mitverantwortlich dafür, dass unser Bekenntnis zur Nächstenliebe und dazu, dass auf der Welt alle Menschen das Recht auf Frieden und Sicherheit haben, kein reines Lippenbekenntnis bleibt. Andere sagen: Die kommen und liegen uns auf der Tasche! Das erste Mal habe ich das mit 9 oder 10 Jahren gehört, da war gerade die Mauer gefallen, und manche Erwachsene fürchteten, die Ostdeutschen würden in Westdeutschland einfallen und leerkaufen – „rübermachen“ nannten sie es. Eine Seite kann oft die Beweggründe der anderen für Denken und Handeln nicht verstehen.

Das Wunder, von dem Lukas berichtet, ist womöglich ein über die rein sprachliche Verständigung hinausgehendes: Offenbar gelingt es den Freunden Jesu, viele der Festbesucher zu begeistern und zu bewegen. Der Geist der Spaltung, Trennung und Abgrenzung, der mit dem Turmbau zu Babel einherging und dafür sorgte, dass Menschen ihre Mitmenschen nicht mehr verstanden, wird an Pfingsten überwunden. Wer eine Fremdsprache lernt, erfährt auch viel über die Kultur und Denkweise, und das Fremde rückt einem mit mehr Einblick und Hintergrundwissen näher. Auf der anderen Seite können auch Menschen, denen man sich lebenslang nahe gefühlt hat, plötzlich fremd werden, sobald man ihre Denkweise nicht mehr nachvollziehen kann: Wenn beispielsweise die Mutter, die selbst als Flüchtling nach Deutschland kam, sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen ausspricht.

Dass es mit dem reinen Verstehen auf der sprachlichen Ebene nicht getan ist, wird für mich daran deutlich, dass manche erstaunt und ratlos bleiben. Sie scheinen hören, aber nicht begreifen zu können. Sie flüchten sich in den Spott, der eine Form der Aggression sein kann: Wo ich Gefahr laufe, mich lächerlich zu machen, weil ich etwas nicht verstehe, mache ich lächerlich, woran ich scheitere: Unwichtig, was sie da sagen, die sind betrunken, spotten manche.

Der Geist erreicht aber viele, die sich begeistern lassen und erkennen, was Gott Großes getan hat, wie Lukas berichtet. Der Geist verbindet Menschen aus Persien, Medien, Elam, Kreta, Judäa und vielen anderen Ländern zu einer Einheit von Menschen, die nicht dieselbe Herkunft haben, was ihre Nationalität angeht, aber alle demselben Geist entstammen: Gottes Geist hat ihre Herzen berührt und bewegt. Die Kirche ist eine Gemeinschaft von Menschen, die alle diesen Geist kennen. Gemeindegrenzen und Strukturen sind wichtig für die möglichst reibungslose Gestaltung des kirchlichen Lebens, aber sie bestimmen nicht die Kirche, genauso wenig wie eine nicht besetzte oder aufgehobene Pfarrstelle bedeutet, dass dort keine Gemeinde mehr wäre. Sonst verfügten ja PfarrerInnen und Pfarrer über den Heiligen Geist und nähmen ihn beim Wegzug mit! Der Heilige Geist ist frei und nicht an Dekanate oder besetzte Stellen gebunden.

Wo Bekanntes, auch Strukturen, nicht mehr da ist, fehlt Sicherheit, aber es entsteht Raum für neues. Der Heilige Geist wird von Lukas mit Ähnlichkeit zu einem Feuer und zum Wind beschrieben. Beides passt: Der Heilige Geist weht frei wie der Wind. Man kann ihn nicht festhalten und nicht einsperren. Gerade jetzt wird uns doch sehr anschaulich vor Augen geführt, wie er wirkt: Unter freiem Himmel ist die Gefahr für eine Ansteckung geringer. Der Wind bläst die Viren fort, je stärker er weht, desto heilvoller. Wenn wir uns in Räume und hinter Mauern zurückziehen, steigt die Gefahr. Das Bewegte, Offene, Freie ist gesünder.

Der Heilige Geist entflammt uns für das, was uns wichtig ist, und lässt uns dafür brennen, Feuer und Flamme sein für das, was wir lieben. Die Vielfalt und die Buntheit, die Lebendigkeit braucht die Kirche, ebenso wie Veränderung, denn nur was tot ist, verändert sich nicht mehr. Aber obwohl es viele Worte in vielen Sprachen gibt, creator spiritus, ruach, Holy Spirit, sontg spiert, le Saint-Esprit, ist es doch ein Gott und ein Geist: Der gemeinsame Ursprung aller, die Kinder desselben Geistes sind: Des Geistes der Liebe, des Verständnisses und des Miteinanders, der Geist Jesu.

Amen