Gründonnerstag

Liebe Gemeinde!

Vor einem Jahr konnten wir nicht an Gründonnerstag miteinander Gottesdienst feiern. Es gab eine Liturgie zu einem Hausabendmahl, und ich finde und fand es doch irgendwie passend, dass jede Familie und jeder Haushalt Abendmahl miteinander feiern konnte. Denn zur Zeit der Urgemeinde gab es noch keine Kirchen, man traf sich im Haus eines Gemeindeglieds und aß und trank gemeinsam. Und letztes Jahr stellte sich für viele die Frage: Darf man das einfach so? Zu Hause Abendmahl feiern? Sonst darf nur Abendmahl austeilen, wer von der Landeskirche ausgebildet und beauftragt wurde – auch Kinderkirchmitarbeitende brauchen, was jemand vor Jahren mir gegenüber als „Abendmahlsführerschein“ beschrieb.

Was feiern wir im Abendmahl? Warum ist es uns und der Landeskirche so wichtig, dass auch in Zeiten von Corona nicht einfach gesagt wurde: Klar, geht ja nicht anders. Sondern dass darüber gesprochen, diskutiert und sorgfältig abgewogen wurde: Ein Abendmahl in digitaler Form oder in einer Papiertüte zum Mitnehmen, von einigen Gemeinden „Abendmahl to go“ genannt, geht das? Und manche, die seither Abendmahl gefeiert oder ausgeteilt haben, merkten: Es ist anders, wenn wir nicht im Kreis stehen und miteinander feiern können, wir einander nicht mehr an den Händen fassen und Halt beieinander finden, eine spürbare Ermutigung im Händedruck mitnehmen können, und wenn wir einander maskiert und mit Abstand begegnen.

Aber trotz aller äußeren Veränderungen, bleibt das, was wir im Abendmahl feiern, unverändert. Das Abendmahl hat fünf Dimensionen:

Die erste ist die Freude. Freude an unserem Glauben und allem, womit uns Gott beschenkt hat: Die Natur, deren Gaben wir genießen dürfen, Pflanzen, die uns Nahrung schenken, unsere Mitmenschen, unser Leben. In schweren Zeiten kann unser Glaube uns Halt bieten, Mut machen und Trost und Freude schenken. Im Feiern des Abendmahls freuen wir uns und sind dankbar für das, was Jesus für uns getan hat.

Die zweite Dimension ist die der Gemeinschaft. Christinnen und Christen sollen nicht allein sein, sondern in Gemeinschaft leben. Gemeinschaft mit Gott und miteinander. Das eine Brot, das gebrochen und geteilt wird, ist Zeichen dafür, dass die Gemeinde ein Leib ist. Man nimmt Anteil aneinander. Beim gemeinsamen Essen geht es um mehr als darum, satt zu werden: Es geht darum, sich auszutauschen, zu erfahren, wie es anderen geht, miteinander zu beten, zu trösten, zu ermahnen und zu ermutigen. Das alles gehört auch zum Abendmahl. Auch deswegen sollen wir uns vor dem Abendmahl mit unseren Mitmenschen versöhnen und ausräumen, was zwischen uns und anderen steht, wie es in normalen Zeiten im Friedensgruß geschieht. Aber auch durch ein freundliches Nicken oder Lächeln hinter der Maske kann man sich ja zeigen: Ich sehe dich, ich wünsche dir Gottes Segen und bringe dir freundliche Gefühle entgegen.

Die dritte Dimension ist die des Gedächtnisses oder der Erinnerung: Als Jesus ein letztes Mahl mit seinen Freunden hält, weiß er, dass er zum letzten Mal mit ihnen allen zusammen sein wird. Matthäus erzählt, dass Jesus weiß, wer ihn verraten wird und auch, dass Petrus ihn verleugnet und was ihn, Jesus, erwartet. Auch mit ihnen feiert er, auch mit ihnen teilt er Wein und Brot.

Das Abendmahl ist wie eine Erinnerung an die Geschichte Jesu. An seinem Leben sollen wir für unser Leben lernen. Sein Tun bietet uns Orientierung für unser eigenes Handeln, aber hilft uns auch zu erkennen, wie liebevoll und gnädig er mit Schwächen und Eigenschaften seiner Mitmenschen umging. Wir staunen im Abendmahl über Jesus, den guten Hirten, der sein Leben für die ihm Anvertrauten lässt, und der auch die nicht loslässt, die ihn verraten und verleugnen. Paulus überliefert im Brief an die Korinther die Worte Jesu: „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird“ (1Kor 11,24). Aus dem letzten gemeinsamen Mahl wurde ein Mahl der Erinnerung, nicht an etwas, das längst vergangen ist, sondern ein Mahl zur Erinnerung an Jesus, der auch heute und immer wieder unsere eingefahrenen Wege und Denkmuster durchkreuzt, um uns zurück zu bringen auf den Weg des Lebens, der Versöhnung, des Friedens und der Liebe.

Die vierte Dimension bezieht sich auf den Ursprung des Abendmahls im Passahfest, im Sedermahl, bei dem jede Speise ihre besondere Bedeutung hat: Mus aus Äpfeln und Zimt zum Beispiel soll an Lehm erinnern, aus dem die israelitischen Sklaven in Ägypten Ziegel formen mussten, Salzwasser an die vergossenen Tränen, bittere Kräuter an das Elend und die Bitterkeit der Sklaverei. Beim Abendmahl erinnern wir uns an die Geschichte Gottes mit seinem erwählten Volk, an seine Treue zu den Menschen, mit denen er seinen Bund einging: Abraham, Isaak, Jakob, Josef und dessen Nachkommen, Mose und das Volk Israel, die Gott in die Freiheit führte.

Und die fünfte Dimension ist die Vergewisserung der Vergebung: Im Abendmahl wird uns die Last unserer Schuld abgenommen und ein Neuanfang geschenkt, damit wir befreit und gestärkt unser Leben leben können. Wir hören die Worte der Vergebung nicht nur als Zuspruch, sondern können sie mit allen Sinnen spüren: Wir berühren, schmecken, riechen und sehen. Sie wird Teil von uns, wir nehmen in uns auf, was Jesus uns schenkt. Das Abendmahl vergewissert uns, dass unsere Schuld vergeben ist. Die Vergebung, die uns geschenkt wird, ist so wirklich wie Brot und Saft, wir können sie berühren und anfassen. Jesus lädt uns ein, zu ihm zu kommen als seine Gäste, und er kommt uns ganz nahe.

Was im Abendmahl geschieht, ist Gottes Geheimnis, und all unsere Erklärungen können immer nur einen Teil erfassen. Gott befreit und stärkt, ist nahe, lädt uns ein zu einem Festmahl und gibt uns einen Vorgeschmack darauf, wie es in seinem Reich sein wird, er verbindet uns mit unseren Mitmenschen und mit sich, und lässt uns seine Liebe und Nähe mit allen Sinnen erfahren.

Aber ohne das Kreuz gibt es kein Abendmahl. Aus den fünf Gedanken oder Dimensionen zum Abendmahl ist ein Kreuz entstanden, in dessen mittlerem Feld Jesus steht. Als Jesus mit seinen Jüngern das Passahmahl feiert, dürften sie gestaunt haben, dass Jesus nicht wie erwartet das klassische Passahmahl feiert. Sondern das Brot nimmt und bricht, dann den Wein nimmt und trinkt. Es ist das erste Mal, dass das Abendmahl gefeiert wird, und für Jesus zugleich das letzte.

Das Passahmahl ist die Erinnerung an den Auszug, und so soll uns das Abendmahl an den Tod Jesus erinnern. Denn wie die Israeliten befreit uns Jesus mit seinem Tod auch aus der Sklaverei, aus der der Sünde und der Schuld. Er schenkt Vergebung und einen Neuanfang.  Durch das Abendmahl bezeugen und leben wir den neuen Bund, der mit Jesu Tod geschlossen wurde. Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth:

„Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er wiederkommt.“

1Kor 11,26

Amen