Jubilate

Predigt von Ruhestandspfarrer Martin Dürr aus Würtingen

Liebe Gemeindeglieder in Würtingen, Bleichstetten, Upfingen und Sirchingen,

sehr gerne wäre ich an diesem Sonntag „Jubilate“ nach Würtingen und Upfingen gekommen, um die Gottesdienste zu halten. So war es geplant. Jetzt ist es anders gekommen.  – Gerne nehme ich die Möglichkeit wahr, die Predigt zum Jubilate- Sonntag in dieser anderen Form zu gestalten.

Wir lesen den Predigttext:

Christus spricht: Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner. Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt,  nimmt er weg; und eine jede, die Frucht bringt, reinigt er, dass sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.  Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und  man sammelt die Reben und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.

Johannes 15,1-8

Liebe Gemeinde, auch wenn wir auf dem Kispel nicht gerade in einem Weinbaugebiet leben, wissen wir doch ein wenig um die Kultur der Weinberge. Schon ganz in der Nähe, etwa in Neuhausen und in Metzingen, sind viele Weinberge zu betrachten. – Wenn wir derzeit morgens ins Morgenlicht hinaussehen, stehen sie da: die Blumen und Pflanzen der Gärten mit ihrem ersten Grün. Sie erfreuen unser Herz- die Büsche und Sträucher. Und sie lassen uns –wenigstens für einen Moment- an etwas anderes denken als die Pandemie, die derzeit alles beherrscht. – Bei den Weinstöcken kommt das Grün etwas später als bei anderen Pflanzen. Und der Weinstock braucht viel Pflege,  wenn er Frucht bringen soll. – Das Bild vom Weinstock und den Reben gehört zu den aussagestärksten Bildern, die Jesus in seinen Reden verwendet hat. Über die Jahrhunderte hinweg sprechen sie uns unmittelbar an. Sieben „Ich- bin-Worte“ überliefert das Johannesevangelium:  „Ich bin die Tür – Ich bin das Licht der Welt- Ich bin die Auferstehung und das Leben- Ich bin der gute Hirte- Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben- Ich bin das Brot des Lebens- und: Ich bin der Weinstock.“ – Um ihre grenzenlose Ehrfurcht zum Ausdruck zu bringen haben alte Bibelhandschriften die „Ich- bin- Worte“ Jesu mit Buchstaben aus purem Gold von den sonstigen Buchstaben aus bloßer Tinte abgehoben. Es lohnt sich, dieser Goldspur zu folgen. Denn Sprecher der Ich-bin- Worte ist niemand anders als der Auferstandene, der Herr, der Kyrios Jesus Christus.

Heute nun: „Ich bin der Weinstock.“  Das Bild macht deutlich: wir Menschen bleiben bei aller fortschrittlichen Technik auf das Wachsen und Gedeihen der Natur angewiesen. Wir Menschen mögen die Pflanzen noch so gentechnisch verändern, – ohne die Gaben der Natur haben wir keine Freude an ihnen. Das wissen die Landwirte, Gärtner und Weingärtner. Wachsen und Frucht bringen ist nicht möglich ohne die organische Verbindung zu einer Pflanze. Und die Erde braucht Erde und Wasser, Sonne und Licht. – Die Weinstöcke aus Metzingen und Neuhausen lassen freundlich grüßen! – Auch ohne Winzer haben sie wieder ausgeschlagen. Man sagt, sie seien teilweise älter als 150 Jahre alt. Die Menschen können sie pflegen, erfahrene Experten, aber das Entscheidende geschieht ohne uns. „…doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand“, heißt es im Lied von Matthias Claudius. Das Entscheidende geschieht ohne uns. „Ohne mich könnt ihr nichts tun.“ – Das ist die Kernbotschaft dieses „Ich- bin- Wortes“ Jesu vom Weinstock und den Reben.   „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“

In drei Schritten wollen wir nun den Inhalt dieses „Ich- bin- Wortes“ Jesu im Blick auf unser Christsein betrachten. Christsein heißt 1. Bei Christus bleiben – 2.  Mit Christus leben – und 3. Durch Christus handeln. 

Zum ersten: bei Christus bleiben. „Bleibt bei mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt.“ – Bei Christus bleiben, das heißt: in eine Gemeinschaft hineingehören. Wer bei Christus bleibt, gehört zur Kirche als der „Gemeinschaft der Heiligen“, mit anderen Christen zusammen.  Wissen, dass man dazugehört – das scheint mir in diesen Tagen besonders wichtig zu sein. Dazugehören – auch mit nur sehr eingeschränkten  Kontaktmöglichkeiten-, das schützt vor Vereinzelung und Vereinsamung. In unserem alltäglichen Leben wissen wir sehr wohl eine treue, gute und feste Freundschaft zu schätzen. Und: gerade in Ausnahmezuständen merken wir, wie hilfreich eine gute Freundschaft ist, welchen Schutz die Geborgenheit in einer Familie oder einer Schulklasse oder einem Verein bietet. Das ist nicht selbstverständlich. Darum gibt es auch so viel Sehnsucht nach Freundschaft, Familie und guter Nachbarschaft. Die Kirche will eine solche Gemeinschaft  sein, die Schutz und Geborgenheit vermittelt, die für jede und jeden einen Platz hat und wo alle eingeladen und willkommen sind. Grundlage ist die Gemeinschaft mit Christus. Er ist das Fundament, das Haupt. Darum ist das „Bleiben in Christus“ so wichtig.—

Zweitens: Christsein heißt:  mit Christus leben.    Philipp Spitta schrieb 1829 das Lied: „Bei dir Jesu will ich bleiben…“. Die erste Strophe endet mit den Worten „…du bist meines Lebens Leben, meiner Seele Trieb und Kraft, wie der Weinstock seinen Reben zuströmt Kraft und Lebenssaft.“ Wenn die Rebe Frucht bringen soll, darf die Verbindung zum Weinstock nicht unterbrochen werden. Weingärtner müssen das freilich manchmal erleiden: mitten im Sommer kommt ein Unwetter mit Hagelschlag. Die Hagelkörner zerstören Weinstock und Rebe. „Kraft und Lebenssaft“ gelangen nicht mehr zu den Trauben. Die Beeren verkümmern, verfaulen, vertrocknen. Der Ertrag bleibt aus. – Ist es in unserem Leben nicht auch manchmal so? Da gibt es auch solche „Hagelschläge“, die unsere Verbindung zu Jesus Christus in Frage stellen, die uns am Glauben zweifeln lassen. Aber, liebe Gemeinde, gerade dann ist es wichtig, sich an die Zusage Jesu zu halten: „Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt.“ Das meint: ein harter Schicksalsschlag muss unsere Verbindung mit Christus nicht auflösen und den Glauben zerstören. Im Gegenteil: gerade in der Anfechtung kann der Glaube zur Hilfe werden, zu einer Kraft, die das Schwere tragen hilft. Um diese Kraft des Glaubens dürfen wir bitten. – Unser Glaube ist immer ein „Dennoch- Glaube“ – „dennoch bleibe ich stets bei dir.“ Wir haben die Zusage Jesu, dass er die Mühseligen du Beladenen erquicken will. –Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Wort Gottes, dem Gebet und der Anfechtung. Glauben  heißt ja gerade: der Anfechtung standhalten! Gerade wenn man meint, nicht mehr glauben zu können, hilft es, verstärkt zu beten: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben.“ – ein paradoxer Satz, aber so ist es –dieses Wort begleitet uns ja in diesem Jahr als Jahreslosung. Mehr dazu bei Hiob, dem 23. Psalm oder dem Jünger Thomas…  Wenn der Glaube ins Wanken gerät, dürfen wir auf die Kraft vom Weinstock Christus vertrauen. Zu ihm dürfen wir rufen: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben.“ Gerade in den finsteren Tälern des Lebens ist Christus der gute Hirte, unbekannt, unverstanden, unsichtbar und unbegreifbar. Aber gerade da gilt:  „Denn du bist bei mir.“  –

Schließlich drittens: Christsein heißt: durch Christus handeln.   –Kehren wir zurück zum Bildwort.  Aufgabe der Rebe ist es, Frucht zu bringen. Die Frucht ist die Traube, aus der der Wein gekeltert wird. –Bei uns ist der Wein ein Getränk für festliche Stunden und besondere Anlässe. So war es zu Jesu Zeiten nicht. Das heißt: unser Handeln, unser Leben als Christen darf sich nicht auf die festlichen Stunden, auf die Sonn- und Feiertage des Lebens beschränken. Der Glaube muss sich im Alltag bewähren, so wie der Wein zur Zeit Jesu ein ganz alltägliches Getränk war. Er gehörte ganz normal zum Tagesablauf. Wein war gesünder als Wasser. Der Wein war nicht nur für den Durst, sondern zugleich Medizin. Er desinfizierte Wunden und heilte. So alltäglich wurde die Frucht der Rebe genutzt. Dann kann die Frucht des Glaubens auch nicht nur die besondere Leistung in außergewöhnlichen Situationen sein. Der Glaube muss sich im täglichen Miteinander bewähren. Und wie, das folgt gleich im Anschluss an unseren Text: „Bleibt in meiner Liebe…, das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.“  – Den Mitmenschen lieben, das heißt: sich Zeit nehmen zum Zuhören – manche Last muss von der Seele geredet werden- Verständnis, Geduld, Einfühlungsvermögen, Zuspruch, der aufrichtet, denn wir alle brauchen Hoffnung und Zuversicht. – Das alles fällt uns leichter, wenn wir wissen: es liegt nicht in unserer Hand. Wir dürfen die Zusagen und tröstenden Worte unseres Herrn annehmen und glauben. Es sind Worte in goldenen Buchstaben geschrieben, Worte des Lebens.Wir sind von Christus gehalten wie die Rebe vom Weinstock. Bei Christus bleiben und mit ihm leben, das gibt uns die Kraft, so zu handeln, wie es von einem Christenmenschen erwartet werden kann. Dazu sind wir alle gerufen, die wir heute dieses Wort vom Weinstock und den Reben gehört haben. „Christus spricht: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht. Denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ – Ohne ihn brauchen wir auch nichts zu tun. Versuchen wir es. Eine neue Woche liegt vor uns. Da gibt es Gelegenheiten genug. Der Versuch lohnt sich. Wir werden spüren, wie mit Christus die Tage leichter werden. Das macht dann Mut, von Herzen ein Loblied zur Ehre Gottes anzustimmen –in welcher Form derzeit auch immer.

Amen.

Wir beten: Gott, schreib uns die Freude dieses Tages ins Herz, damit sie nicht verfliegt, wenn wir zurückkehren in unseren Alltag. Gott, präge uns ein, dass du den Tod überwunden hast, damit wir nicht in Trauer versinken, wenn wir begraben müssen, die wir lieben. Gott, spiel uns ins Ohr das Lied vom Leben, das du neu erschließt, damit wir Hoffnung ausbreiten, wenn wir Verzweifelten begegnen.           O Herr, lass gelingen, dass das Licht des Ostermorgens die Schatten der Sinnlosigkeit vertreibt. Amen.  Wir beten weiter mit den Worten Jesu: Vater unser im Himmel…